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Ein Artikel von der wunderbaren Samira Suweidan auf ihrem herrlichen Kunstblog
Wilde Gewächse - Traut Euch, frei zu blühn!
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http://www.wildegewaechse.de/2017/03/16/da-kannste-nicht-denken/
… sagt die deutsch-finnische Collage-Künstlerin Lumi
Divinior über ihren Schaffensprozess. Sie erzählt über den fühlenden
Blick, ihre Beziehung zum Surrealismus und was sie über Galerien denkt.
*Artikeltext*
Gunilla Göttlicher alias Lumi Divinior sitzt fröhlich lachend an einem
großen Tisch, mitten in dem in dem 72 Quadratmeter großen Innenraum der
Kapelle am Urban
– einem kleinen Gründerzeitbau im Berliner Gräfekiez. An den Wänden
hängen dicht gedrängt die Arbeiten von Lumi Divinior und Susanne
Erçetin. Die beiden Frauen präsentieren hier ihre gemeinsame Ausstellung
„Sein. Und nicht sein.“ Für Gunilla Göttlicher ist es bereits das
dritte Mal, dass sie ihre Collagen der Öffentlichkeit vorstellt. Für
ihre Besucher persönlich da zu sein, macht ihr Freude. Ebenso, wie
gesehen zu werden. Eine Aufmerksamkeit, die sie auch genießt, wenn sie
zusammen mit Musiker Leo Auri als Mondblume
auf der Bühne steht und Gedichte von Hans Arp interpretiert.
Folgerichtig hat Gunilla auch einen Künstlernamen: Lumi Divinior. Kein
reiner Fantasiename, denn „Lumi“ ist das finnische Wort für „Schnee“,
„divinior“ kommt aus dem Lateinischen und bedeutet „göttlicher“.
Göttliche, also spirituelle Ziele und Ideale bestimmen auch ihre Bilder.
Als ich die Kapelle am Urban betrete, finde ich die wunderbare Lumi
Divinior im Gespräch mit einer Besucherin, die schon einmal neugierig
eine Frage stellt, mit der ich in das Interview einsteige. Nämlich,
warum die Künstlerin vor den Räumen nicht stärker für sich werben
möchte? Sie winkt ab …
Warum machst du nicht mehr auf dich aufmerksam? Draußen hängt nicht einmal ein Plakat …
Ich glaube ja tatsächlich, dass jeder automatisch genau das Publikum
bekommt, das für sie oder ihn richtig ist. Und hierher kommen immer nur
diejenigen, die wirklich neugierig sind. Die es interessiert. Etwa die
Frau, die sich gerade mit mir so angeregt unterhalten hat. So etwas
liebe ich. Ich finde toll, wie man sich ans Herz wächst – innerhalb von
ein paar Minuten. Es gibt einfach Begegnungen, die sind unglaublich
schön und reich. Sie entstehen aus dem Moment heraus. Und das hat eben
auch mit der Atmosphäre des Raums und der Kunst hier zu tun. Und mit der
ausgesprochenen Einladung, hier einen Dialog führen zu dürfen. Denn ich
bin – falls überhaupt – ’ne Diva zum Anfassen.
(lacht)
Wie wichtig ist für dich das Gespräch mit den Besuchern?
Der Dialog des Geistigen, das ist für mich ganz köstlich. Mit den
Menschen in Null-Komma-Nichts über das pralle Leben sprechen zu können.
Und auch über den Tod. Das ist verzaubernd, muss ich gestehen. Einfach
toll. Klar, fänd‘ ich es auch schön, wenn ganz viele Leute kommen würden
– aber bei so viel Aufmerksamkeit käme ich gar nicht hinterher. Das
habe ich schon bei meiner ersten Ausstellung erlebt.
Was begeistert dich bei deinen Ausstellungen besonders?
Wenn die Leute meine Bilder nach Hause nehmen, das ist ganz, ganz
toll. Als ich das letzte Mal eine Ausstellung hier in der Kapelle am
Urban gemacht habe, kam eine Frau von der Straße herein, sah sich um und
verliebte sich in eines meiner Bilder. Darauf waren zwei Geparden zu
sehen. Es erinnerte sie an sich selbst und ihre Zwillingsschwester. Sie
sagt zu mir, sie kann sich gar nicht mehr retten, sie braucht das. Da
dachte ich: Mann, das ist ja toll! Die Collagen finden ihre Freunde oder
ihre Liebhaber oder so etwas. Sie kaufte das Bild und wir sind noch bis
heute in engem Kontakt. Das freut mich, und es ist mir auch wichtig,
meine Arbeiten in guten Händen zu wissen. Ich möchte, dass sie jemand
besitzt, der sie wertschätzt.
Welche Begegnungen sind dir noch im Gedächtnis?
Ich fand eine am letzten Sonntag besonders spannend – mit einer
Fotokünstlerin, die selbst schon in größeren Häusern ausgestellt hatte.
Als sie den Raum betrat, waren ihre ersten Worte: „Schöne Arbeiten, aber
eure Hängung ist die totale Katastrophe. Das geht gar nicht.“ Sie
meinte zu uns, dass wir jedem Bild ganz viel Zeit und Raum geben
müssten. Ihr fehlten außerdem Werktafeln an den Wänden. Wir hatten ja
stattdessen Handzettel drucken lassen. Diese Hinweise waren konstruktiv
und freundlich gemeint, aber es hat mich trotzdem irritiert. Es hat mich
einfach erstaunt, dass die Hängung das Erste war, das ihr hier auffiel.
Dieser Dialogfokus liegt mir gar nicht. Ich konzentriere mich immer zu
allererst auf das, was mir gefällt. Auf die Inhalte.
Sie wollte sicher helfen: Eine professionelle Präsentation
führt ja auch zu mehr Aufmerksamkeit und letztendlich zu mehr Verkauf …
Sicher. Sie meinte, ein Bild pro Wand wäre ausreichend gewesen. Ich
antwortete ihr: „Logisch, aber da bin ich noch nicht.“ Ich bin noch an
dem Punkt, an dem ich mich freue, dass alle meine Arbeiten an der Wand
sind und die Menschen sie sehen. Und dabei vertraue ich darauf, dass die
Besucher sich selbst entscheiden, womit sie sich auseinandersetzen
möchten und womit nicht. Klar, wünsche ich mir das auch: nur ein Bild zu
zeigen auf einer Wand. Oder überhaupt nur ein Bild in einem 100
Quadratmeter großen Raum. Vielleicht brauch ich auch irgendwann
überhaupt kein Bild mehr. Ich sitz dann da alleine herum und alle zahlen
scheiß viel Geld, nur um mich zu sehen.
(lacht) Ja, das ist gut!
(lacht gleich noch mehr und wird dann wieder ernst)
Das ist natürlich ein hehres Ziel: Gunilla sitzt in einem Raum, alle
Leute machen Fotos und müssen für jedes davon 20.000 Euro zahlen. Das
ist ’ne schöne Sache. Aber im Moment ist mein Ziel, mich gemeinsam mit
meiner Partnerin hier auf die Ausstellung einzulassen. So wie wir das
hier machen, ist das natürlich das pralle Leben, das ist mir sehr
bewusst. Aber das mag ich eben auch: dass Menschen sich hier hinein
verirren und mir zu den Collagen sagen „Das liebe ich“ oder „Das mag ich
nicht so“. Das ist toll. Mir geht es um das Gespräch – das ist ein
komplett anderer Fokus als auf Leistung und Perfektion.
Was hast du denn für ein Verhältnis zu deinen eigenen Bildern?
Ich habe zu jedem Bild eine Beziehung und ich will, dass jedes Bild
sein darf. Ich will die auch zeigen, weil die mich anrühren. Und wenn
ich die Bilder hier an der Wand betrachte mit den Werken von Susanne
Erçetin, dann erzählen die mir was, was die mir so nie erzählen würden.
Das ist schön. Das ist wirklich schön. Ich merke dann auch, dass sich in
den Bildern Themen spiegeln, die mich unbewusst beschäftigen. Und ich
denke: Das ist ja toll! Das Bild ist mir fast einen Schritt voraus. Das
macht mich so glücklich, das zu sehen.
Deine Bilder machen dir also etwas über dich selbst bewusst?
Aber hallo! Ich bin wie eine Art Medium für diese Wesen, die da
entstehen. Denn immer gibt es einen neuen Blickwinkel, immer eine neue
Idee, immer kommst du einen Schritt weiter. Du reifst, und das Bild
reift mit dir.
Wie ist deine Arbeitsweise?
Ich liebe es tatsächlich, überhaupt nicht zu wissen, was ich tue.
Keinen Plan zu haben. Und dann springt mich irgendetwas an zu bestimmten
Zeiten und dann entstehen irre Sachen. Und ich denke „Ach! Guck an!“ Es
gibt Menschen, die gehen ganz anders an das Schöpferische heran. Die
haben Pläne und Zeichnungen und Werke, die im Vorfeld entstanden sind
für bestimmt Konstruktionen. Bei mir geht es weniger um Konstruktion.
Das ist nicht so gedacht. Das Werk kommt aus mir heraus und ist geboren
und dann ist es da. Das ist weniger Gedankenwerk als Innenwelt. Das ist
nicht Kognition oder Gedanke, es ist Intuition. Die Bilder des
Unbewussten, das Traumhafte. Und daraus ergibt sich etwas Eigenes. Und
das entsteht, das kannst du nicht denken. Ja, wie soll ich das nennen?
Mit dem Begriff „Kunst“ habe ich so meine Konflikte. Es ist eher das
Schaffen, das Schöpferische. Das hier ist mein Schöpfertum. ich finde es
toll, wie Dinge entstehen.
Du fotografierst ja auch. Nähst sogar mit Garn Bilder auf Stoff. Welche Techniken bevorzugst du?
Das Medium der Collage ist mir so nah. Mit der Schere und Klebstoff
zu arbeiten, das ist so sezierendend. Einfach aus bestehenden Bildern
etwas herauszunehmen, das mir entspricht. Ich male ja nicht gern. Das
fixt mich nicht so an. Für mich ist es nicht das Wässrige. Das
Sezierende fixt mich an. Es ist ein automatisches Collagieren –
vergleichbar mit der Écriture Automatique im Surrealismus. Aber ich
arbeite auch leidenschaftlich gern mit Stimme und Poesie auf der Bühne –
zum Beispiel mit meinem Klangpoesieprojekt Mondblume, ähnlich dem
Cabaret Voltaire im Dada Zürich.
„Das Sezierende fixt mich an.“
Collagierst du, um die Welt für dich erfassbar zu machen?
Ja. Es gibt schon vorhandene Bildwerke. Die gibt es schon in der
Welt. Sie sind da, ich sehe sie und ich kenne sie – und dann verändere
ich sie so, dass sie zu etwas Neuem werden. Zu etwas, das mir
entspricht. Das passiert von selbst. Denn wenn ich immer nachdenken
würde, wüsste ich irgendwann nicht mehr weiter. Sobald ich nicht mehr
nachdenke, sondern nur noch tue, kommt so ein Gedanke: Jetzt brauchst du
Energie, jetzt Neonrot, jetzt Gold. Mit dem Denken komme ich überhaupt
nicht weiter. Nur mit dem Tun. Weißt du, und auf einmal fällt mir auf,
ich liebe Neonrot mit Neonpink und Altrosa, Das macht mich high. Wenn
ich das zusammenführe – und auch noch übereinander. Schon allein zu
spüren, was es mit mir macht! Da kannste nicht denken.
„Mit dem Denken komme ich überhaupt nicht weiter. Nur mit dem Tun.“
Geht es dir also ums Experimentieren?
Nein, nicht nur. Es gibt viele Werke, bei denen ich Neues ausprobiert
habe, die ich aber nicht zeigen würde. Mir geht es darum, etwas
herauszufinden, das ich vorher noch nicht wusste. Mir geht es weniger um
künstlerische Selbstdarstellung meiner ach-so-wichtigen kognitiven
Ideen, sondern um das Ausdrücken dessen, was tief in mir ist – das
Unbewusste, etwas, das meinen Urgrund darstellt und mir selbst immer
einen Schritt (wenn nicht gar mehr) voraus ist. Etwas, das viel, viel
größer ist als ich und mit allem kollektiv verbunden.
Damit stehst du in der Tradition des Surrealismus, vielleicht auch des Dada …
Ja, durchaus. Ich fühle mich sehr zur Poesie von Hans Arp hingezogen. Vor allem zu seinen Werken, die die Träume und das
Phantastische beschreiben. Den aufrührerischen Aspekt des Dada teile ich
eher weniger. Es kann nur der meine Kunst sehen und für schön befinden,
der zum fühlenden Blicken in der Lage ist. Für mich spielt Joseph Beuys
eine entscheidende Rolle – er ist so mutig gewesen und direkt, so von
Angesicht zu Angesicht. Seine Kunst ist für mich fühlbar und stimmig,
was er ausdrücken wollte über Energien und Kräfte in der Welt,
entspricht auch meinen Ideen. Ein weiterer Wunderbarer ist für mich Dieter Roth.
Sein Umtriebigsein, sein überfließendes Prinzip, dieses Üppige und auch
sein Absturz sind für mich klar und folgerichtig. Sein Humor ist
bezwingend, er war ein Gesamtkunstwerkkünstler.
Was hältst du vom renommierten Kunstbetrieb?
Hm, ehrlich: Was meine bisherigen Erfahrungen betrifft, nicht allzu
viel. Ich will unbedingt mein Sein und Tun in diesem Moment gewürdigt
wissen, keine schlauen Kommentare, was ich noch entwickeln könnte und
wohin die Reise formal-technisch hingehen könnte. Ich will mich da nicht
einschränken lassen. Es ist meine Entwicklung, die mache ich – mit
eigenen Vorbildern und eigenen Anregungen. Ich möchte mich einfach nicht
bevormunden lassen, und das ist eben schnell passiert, wenn man in
einer Galerie ausstellt. Ich schließe es natürlich nicht aus, aber der
Galerist müsste leidenschaftlich in der Lage sein, mein Werk zu lieben,
zu erfassen und mit mir zusammenzuarbeiten. Das gibt es sicher. Ich habe
auch noch nicht gesucht. Ich möchte und kann mir aber auch keinen Druck
wegen neuer Arbeiten machen, es kommt als Ich-muss-jetzt-was-erschaffen
raus, ein Überdruck, ein Wissen-wollen. Manchmal geht einfach nichts,
Leere. Lediglich Verdauung des Vielen in der Welt.
Vielen Dank für das Gespräch!
Und zum Schluss zeige ich Euch noch ein Bild von Lumi Divinior:
Dank von ganzem Herzen an Samira und Wilde Gewächse!
Bild: Samira Suweidan