*Landschaft mit Trauergruppe* | Einführung in das Werk von Christine Busch, Kunsthistorikerin
Kurze
Einführung in die Ausstellung MOND -
Vernissage am 26.9.2014
Da
ich nicht einfach pauschal über ihre Arbeiten sprechen möchte, hab
ich mir einfach eine meiner Lieblingsarbeiten herausgegriffen und
werde von dieser ausgehend einige Dinge zu Gunillas Technik, Motiv-
und Themenwahl sagen.
opa
edgars erbe 2010, Landschaft mit Trauergruppe ist eine Ihrer am
klarsten strukturierten Collagen, kleinformatig und nur aus drei
Teilen zusammengefügt. Da die Arbeit sehr klein ist, beschreibe ich
sie kurz.
Auf
weißem Untergrund, sehen wir im linken unteren Bildrand eine
Dreiergruppe. Eine Frau mit langen blonden Haaren und wallendem
Gewand kniet mit gefalteten Händen mittig. Ihr verzweifelter Blick
richtet sich nach rechts oben.
Dahinter
stützt ein Mann eine nach hinten gebeugten weiteren Frauenfigur mit
geschlossenen Augen. Ihr weisses Kleid setzt sich klar gegen den
Hintergrund seines roten Gewands ab. Betroffen blickt er in ihr
Gesicht.
Links
und unterhalb der Gruppe ist noch der Goldrahmen des
Gemäldeausschnitts zu sehen. Die
Figurengruppe wirkt hastig ausgeschnitten. Die Ränder des Papiers
lassen die fasrige Struktur des bedruckten Papiers erkennen. Ganz
anders verhält sich dies bei der Fotografie eines in verschiedenen
zarten Farben schimmernden Schneckengehäuses (ein Gehäuse des
Urgetiers Nautilus), auf dem die Figurengruppe fast vollständig zu
liegen kommt. Ihr Ausgeschnittensein ist ihr kaum anzumerken. Sie
fügt sich sanft und flüssig in die schwarz-weiße Landschaft des
Hintergrunds ein.
Technik
der Collage in Performances wie Objekten:
Gunilla
Göttlicher sucht, empfängt, erkennt, stöbert, schneidet, klebt,
sprüht, übermalt. Der Auswahlprozess ist kein bewusster. Sie sagt,
die Bilder finden sie und nicht umgekehrt. Sei es ein altes Buch über
Pantomimekünstler, seien es große imposante Bildbände zu
rumänischen Ikonen oder den Sammlungen des Pariser Louvre. Die
Bilder finden ihren Weg zu ihr, werden von ihr erkannt,
zerstört
und
in ihren Collagen zu einem neuen Ganzen, einem neuen Wahren, wie sie
selber sagt, verwandelt.
Ihr
paradoxes Ziel ist es, im Prozess des Schichtens und Zusammenfügens,
einen einzigartigen, stimmigen Kern herauszuschälen.
Der
neue Bildraum versteht sich als improvisiert, ausdrücklich ohne
Anspruch auf Perfektion. Es ist die Ästhetik
des Unperfekten die
Gunilla Göttlicher fasziniert.
Sie
ist sich der Geschichte der Technik des Collagierens als
Kunsthistorikerin,
die ihr Fach sehr liebt, dabei bewusst. Vor allem der Dadaismus
ist nicht nur für die Technik, sondern auch für die künstlerische
Grundhaltung eine wichtige Inspiration. Humor, Lachen, heiteres Spiel
sind auch für sie unabdingbare Motorn ihres schöpferischen
Prozesses.
Insbesondere
die Berliner Dadaistin Hannah
Höch war
und ist ein wichtiges Vorbild. Die Kraft, der Wagemut und die
Fantasie Ihrer Collagen haben Gunilla Göttlicher massgeblich
ermutigt, dieser Technik über die Jahre treu zu bleiben. Auch die
Lyrik des dadaistischen Künstlers Hans
Arp,
deren Klarheit aber auch Verspieltheit, die sie auch in ihren
Performances immer wieder inszeniert, ist ein wichtiger Bezugspunkt.
Zurück
zum Bild und seinen Motiven
MOTIVWAHL
und THEMENWAHL
Die
Gruppe der Trauernden stammt aus dem berühmten Isenheimer Altar des
Malers Grünewald vom Anfang des 16. Jahrhunderts. (Heute im Museum
Unterlinden im französischen Colmar- unbedingt anschauen!).
Klassische christliche Motive, vornehmlich aus Arbeiten der
europäischen Kunstgeschichte, finden sich häufig in ihren Arbeiten.
Sie sind kein Verweis auf ihre Religiösitat, wohl aber
beispielsweise auf ihre Herkunft, das Aufwachsen in einem
christlichen Haushalt in Franken. Sicherlich aber auch auf den
kunsthistorischen Kanon ihrer universitären Ausbildung, ihrer Liebe
zur Malerei Caravaggios, Giorgiones, George DelaTours, Tizians, deren
handwerklich vollendeten Darstellungen der menschlichen, irdischen,
verletzlichen Seiten des Göttlichen.
Es
fällt auf, dass Gunilla Göttlicher kaum auf dokumentarisch gemeinte
Bilder zurückgreift. Die absolute Mehrheit der verwendeten Bilder
sind entweder Fotografien von Kunstwerken oder stammen aus der
künstlerischen Fotografie, wie etwa der Modefotografie der Vogue.
Zusammengefasst:
die Elemente der Collagen sind schön, ästhetisch. Schönheit hat
aber keinen Selbstzweck.
In
diesem konkreten Bild steht die Schönheit der Darstellung im krassen
Kontrast zum Dargestellten. Den Figuren ist das Grauen ins Gesicht
geschrieben. Das Objekt, das dieses Grauen entfesselt, der
geschundene Jesus am Kreuz, ist ihnen jedoch entschnitten worden.
Gunilla Göttlicher hat eine künstlerische OP vorgenommen.
Sie
setzt sie in einen neuen Raum, ein Schneckenhaus.
Der
flehende Gestus der Frauen, das unnatürlich nach Hinten gebeugte der
vorderen Figur werden plötzlich aufgenommen in die spiralförmige
Bewegung des Hintergrunds. Unser Blick stößt nicht auf einen toten
Körper, sondern wird hineingesogen in einen seltsamen, schimmernden,
bläulichen Raum. Rechts neben dem Kopf des Mannes strahlt ein helles
Licht. Sein Körper und jener der nach hinten zu fallen drohenden
Trauernden sind eingebettet in diesen Lichtstrudel. Sie sind nicht
mehr haltlos. Sie haben sich in eine der am häufigsten
anzutreffenden Grundformen der Natur, und eines der
kulturübergreifend wichtigsten Symbole für das das Göttliche, der
Spirale
eingebettet.
Sie
steht für Anfang und Ende gleichermaßen, die Dynamik des Werdens
und des Vergehens, der sich stetig fortentwickelnden Energien.
In
dieser Collage wird die Trauer, der Schmerz der Dreiergruppe derart
in ein unberührtes Flussbett überführt und darf durch Wälder dem
Himmel entgegenfließen.
Ein
heilsames, ein hoffnungsvolles Bild, das die Vergänglichkeit in
einen ewigen Fluss des Kommen und Gehens einbettet.
Memento
mori!, Bedenke, dass du sterben wirst.
Diese
Aufforderung, die Gunilla Göttlicher sehr am Herzen liegt, erzeugt
in dieser Collage kein Grauen, sondern trifft auf ein Gefühl des
Gehaltenseins, des Friedens und Vertrauens.
Für
sie sind das Sterben und der Tod große, wichtige Themen ihrer
künstlerischen Arbeit.
Seit
Jahren arbeitet sie als Kunsttherapeutin mit Sterbenden in
verschiedenen Palliativstationen. Eine Arbeit, die sie tief berührt.
Sie
sagt: ..Da kann sich etwas ganz Wahres zeigen. Es ist rührend,
wesentlich und pur was da kommt. Und weiter: Oft sind des die
schrecklichen und die schönen Geschichten aus der Kindheit, die am
Ende des Lebens noch einmal an die Oberfläche wollen-
das
Bedürfnis, am Ende des Lebens noch einmal an den Anfang zu kommen
ist groß.
Memento
mori ist daher für sie in ihrer künstlerischen wie
therapeutischen Arbeit aufs engste mit einem weiteren zentralen
Imperativ ihres Lebens: Erkenne
dich selbst!,
der berühmten Inschrift am Apollotempel von Delphi, verknüpft.
Gehen
wir zum letzten Mal zurück zum Bild.
Wir
haben festgestellt, dass der Bildraum hier verwandelt, Neues schöpft,
gar heilt. Das tut er hier obwohl oder gerade weil er auch ein Raum
des Todes ist.
Media
vita in morte sumus- mitten wir im Leben stehen, sind vom Tod
umfangen. Tod und Leben sind in ein und dem selben Raum.
Gunilla
Göttlicher definiert diesen Raum auch als einen der schöpferischen
Melancholie. Daher auch der Titel der Ausstellung: Mond, einem der
klassischen Attribute des Melancholikers.
Für
diese Ausstellung bezieht sie sich genauer auf eine Gedichtzeile des
Berliner Lyrikers Hans Sahl:
Geh
jetzt und nimm was dir gehört, die Dunkelheit, den Mond, den Traum.
Wieder
ein Imperativ. Nimm' was Dir gehört!
Ihre
Bilder sind Einladungen diesen Raum der Sehnsucht, des
Schöpferischen, der Freiheit und, wichtig!, des heiter, kindlichen
Spiels zu betreten, ihn sich zu nehmen, in sich anzueigenen BEVOR MAN
STIRBT.
In
diesem Sinne zwei letzte Imperativ von meiner Seite:
Nehmt
diese Einladung an! und zweitens:
Sterbt
bitte erst nach dem Verlassen der Galerie, sonst wäre Gunilla doch
sehr enttäuscht, wie ich vermuten darf..
Christine Busch M.A.
Mein ergebenster Dank an Christine Busch!